Wertschätzung

Ein Brief an meine Lehrer(in)

26. Juli 2017

Liebe Frau Marx-Babion,

ich schreibe Ihnen heute auf diesem Wege und hoffe, diese Zeilen erreichen Sie.

Wie viele Schüler*innen werden sie wohl in Ihrem Leben gehabt haben? Ich weiß es nicht, aber vielleicht können Sie sich erinnern: ein sehr schüchternes Mädchen aus einem kleinen Dorf im hessischen Hinterland. Ich schreibe Ihnen, weil ich Ihnen danken möchte!! Vor 26 Jahren wurde ich eingeschult. Dieser Tag war ein freudiger und mit viel Stolz hielt ich meine Schultüte mit einem Clown darauf fest. (Es war im Übrigen genau die, die ich mir sehnlichst gewünscht habe, danke Mama und Papa!)

Der Ernst des Lebens begann

So schön die Einschulung auch war, leider begann mit der Schulzeit keine schöne Zeit in meinem Leben. Im ersten Jahr war Frau K. meine Klassenlehrerin, sie lehrte mich brav zu sein.

Ich saß wie ein Mäuschen in der ersten Reihe und sollte wie alle anderen die Hände längs auf den Tisch legen. Ich tat es, war lieb, leise und angepasst und erhielt stets ein Lob dafür. Aus Angst vor Strafen und Schimpfe wagte ich nicht etwas anderes zu tun und wurde so zum Liebling.

Heute weiß ich, ich wurde per Lob von dieser Lehrerin erzogen. Dieses Lob gepaart mit Angst war mein Motor so zu agieren wie sie es wünschte. Frau K. war eine „von der alten Schule“. Ich mochte sie trotzdem irgendwie und sie mich, weil ich „so lieb“ war.

Dieser Start war wohl schon alles andere als gelungen. Ich blühte nicht auf wie eine schöne bunte Blume, sondern wurde wie ein englischer Rasen zurecht gestutzt. Darüber bin ich heute traurig.

Der Ernst wurde immer ernster

Kein Dank geht an Herrn T. in Chemie, Herrn H. in Mathe, Herrn S. in Physik, Frau K. in Erdkunde, Herrn P. in Sport und Frau M. in Französisch an meiner weiterführenden Schule.  Warum haben Sie mich gedemütigt, wenn ich vermeintlich einfache Aufgaben an der Tafel nicht lösen konnte?

Warum belächelten Sie es müde, wenn ich den Sprung über den Bock nicht schaffte. Warum rasteten Sie aus, wenn ich ein Land auf der Landkarte vorne nicht fand oder nicht wusste welche Landeshauptstadt Bayern hat („war klar, dass ein Mädchen dass nicht weiß: Bayern München“)? 

Überraschung. Sie haben es nicht geschafft mein Interesse für Erdkunde zu befeuern. Ich mag Mathe bis heute nicht. Chemie, Physik? Ich habe nach wie vor keinen Plan. Nach vier Jahren Französisch reicht es gerade mal für „Salut“ und „au Revoir“. 

Ich habe jahrelang Angst gehabt in die Schule zu gehen, Angst vor IHNEN! Angst davor, dass Sie mich dran nehmen und ich die Antwort nicht kenne. Angst davor, dass Sie mich nach vorne zitieren, dass Sie mir die Schamesröte ins Gesicht treiben.

Wissen Sie, Angst ist kein guter Motor, sie macht Bauchweh und die Seele krank. Ich habe mich morgens auf dem Schulweg auf den Moment gefreut, an dem ich wieder auf dem Rückweg sein werde! 

Liebe Lehrerinnen und Lehrer!

Sie haben alle auf der Machtebene gehandelt, autoritär und an vielen Stellen unkreativ! Ich bin heute reflektiert und im Klaren darüber, welche Mechanismen da greifen und wie sehr unser Schulsystem das unterstützt.

In meiner Tätigkeit in Kita, Schule und der Sozialarbeit musste ich selbst umdenken.  Heute sind Sie meine Kolleg*innen und wir sind Teil eines Systems, das dieses Handeln leider fördert, ich weiß das.

Und was ist nun mit Frau Marx-Babion?

Was hat „meine Frau Marx-Babion“ nun so anders gemacht? Das Verrückte ist, ich weiß es nicht…

Ich weiß nur, dass ich keine Angst vor Ihnen hatte!! Sie haben mich so gesehen, wie ich war, sie haben meinen Charakter gesehen. Sie haben mit uns gelacht und geweint und mich auf das Leben vorbereitet. Ich erinnere mich auch sehr genau an Situationen, wo Sie sehr wütend waren, aber das war gar nicht schlimm…!

Vielen Dank dafür!! Vielleicht erreichen Sie ja diese Zeilen!

Und ich hoffe auch sehr, dass diese Worte jeden umdenken lassen, der in der Schule tätig ist. 

I have a dream

Ich wünsche mir, dass Schule ein Ort ist, wo man jeden Morgen gerne hingeht!  Ein Ort, wo man sich selbst kennen lernen darf. Ein Ort, wo jedem Kind vermittelt wird, dass es ok ist, so wie es ist.

Ein Ort, wo Erwachsene Kinder, begleiten und nicht demütigen und auswendig Gelerntes abfragen. Ein Ort, voll von Wertschätzung, Vertrauen und viel Zeit für Beziehung. Ein Ort, wo Kinder inspiriert werden, Dinge zu erforschen und zu erlernen.

Ein Ort, wo Kinder aber vor allem das lernen dürfen, was sie interessiert!! Wo ihre Individualität gesehen wird. Ein Ort, wo niemand ausgeschlossen wird!! Ein Ort, für Gemeinschaft, Konflikte, Streit und Versöhnung. Ein Ort mit gutem Essen, schönen Räumen und viel Natur. 

Ich will nicht überdramatisch werden und bin sicherlich nicht Martin Luther King aber ich träume von diesem Ort!

Wie ich die Schulzeit „überlebt“ habe? Ich wurde von meinen Mitschüler*innen geliebt und ich hatte drei Jahre bei Frau Marx-Babion. Das hat mich diese Zeit irgendwie überstehen lassen, aber nicht unbeschadet. Ich habe ein Trauma von Schule davon getragen und das ist vermutlich auch ein Grund, warum es diesen Blog gibt.

Ich wünsche mir für kein Kind eine Schulzeit, wie ich sie erlebt habe. Sondern ich wünsche jedem Kind diesen wunderbaren Ort, den ich beschrieben habe.


Wenn Sie diesen Text gerade lesen und Frau Marx-Babion sind, dann würde ich mich wahnsinnig freuen, wenn Sie mir eine Email schreiben 😉 !!


Wenn dir dieser Artikel gefällt bzw. weitergeholfen hat, würde ich mich raketenmäßig freuen, wenn du meinen Blog unterstützt. Du kannst dies über den unten stehenden Link tun. Wieviel du willst und natürlich freiwillig. Du hilfst mir dabei, diesen Blog unabhängig und frei zu gestalten. Vielen Dank!!

Du unterstützt meine Arbeit auch, wenn du etwas aus meinem Shop, wie zum Beispiel diese Illustration, bestellst: 

You Might Also Like

11 Comments

  • Reply May 26. Juli 2017 at 14:51

    Danke für diesen schönen Artikel!

    Ich musste beim Lesen gerade meine Tränen zurück halten, weil ich an meine alte Lehrerin gedacht habe, die mir eben so viel mitgegeben hat. Sie hat nicht nur Fachkenntnisse vermittelt, sondern auch Begeisterung, dass es OK ist, wenn mal was schief geht, wenn man es nur versucht hat, Anerkennung.

    Ich habe die Schule vor allem dank ihr in guter Erinnerung und in all den Jahren immer daran gedacht „ich mache mal was tolles aus mir und dann sage ich es ihr, weil sie mich gesehen hat und dann wird sie sich freuen. Weil sie sich wirklich gefreut hat, wenn ihre Schüler glücklich waren.

    Sie ist ein Jahr, nachdem ich mit der Schule fertig war, gestorben. Mit Ende 30. An Krebs.

    Deswegen können meine Worte sie über facebook nicht erreichen. Aber manchmal sage ich ein großes Danke in den Himmel.

  • Reply Kristin 27. Juli 2017 at 8:59

    Danke für den tollen Artikel! Bei mir war es hauptsächlich der Mathe- und Physiklehrer auf dem Gymnasium, der meine Neugierde gefördert hat, anstatt mich bei Nichtwissen bloßzustellen. Mein Lehrer auf dem Gymnasium hat mich ermutigt, mich zu beteiligen, wenn ich etwas konnte. Er hat uns in seiner Freizeit nachmittags noch Extraversuche in Physik machen lassen, um zu experimentieren. Er hat mir meine Stärken aufgezeigt, anstatt meine Schwächen hervorzuheben. Bei ihm hatte ich Spaß am Unterricht und habe gerne gelernt. Und ohne ihn wäre ich jetzt (vor allem auch beruflich) nicht diejenige, die ich jetzt bin.

  • Reply JesS von feierSun.de 27. Juli 2017 at 15:24

    Weißt Du, als ich ins Heim kam hatte ich viele LehrerInnen gegen mich und eine einzige hat es geschafft, dass ich es allen zeigen konnte – mir ganz vorn. Ich hatte Lehrer die mich allein wegen der Wohnsituation schlecht benoteten und behandelten. Und dann wedelte ich mit meinem Zeugnis vor ihren Nasen. Diese Frau bot mir an, mich nachts aus meinem noch-Zuhause raus zu holen, wenn nichts mehr geht. Sie war mein Anker in der Schulzeit und mein Rettungsring als in meinem Leben alles schief lief und nun sitze ich hier und weine und möchte sie ganz feste drücken. Danke für diesen Text!

  • Reply Martina Belling 28. Juli 2017 at 11:15

    Hallo, ich bin Glückslehrerin und versuche genau diesen deinen Traum etwas realer werden zu lassen. Ich war bis letzten Sommer 28 in Vollzeit als Berufsschullehrerin tätig (ich mag dieses Wort „tätig“ eigentlich überhaupt nicht…, es passt aber gerade) und war immer (!) mit Leib und Seele Lehrerin. Ich war immer traurig, wenn die Ferien zu Ende gingen (das Ende meiner Freiheit…), hab mich aber immer (!) auf die Menschen (vor allem die Schüler) gefreut.
    Ich führe selbst gerade bei Facebook eine Umfrage durch („Schule und Glück“), bei der ich frage, welche Lehrerin /welcher Lehrer diejenigen positiv beeinflusst hat.
    Ich habe den Schuldienst übrigens deshalb verlassen (dauerhaft beurlaubt), da das Schulsystem sich immer menschenfeindlicher entwickelt und ich immer weniger dort hinein passte… Vielleicht können wir unsere Kräfte ja bündeln? Meine „Firma“ heißt Glückszeiten. Meine Homepage lautet http://www.glückszeiten.de
    Ich würde mich sehr über eine Nachricht freuen!!! Schönste Grüße von Martina Belling ?

  • Reply Ines 1. August 2017 at 18:45

    Hallo!
    Ja, vieles was Du beschreibst, habe ich ähnlich erlebt, wenn gleich ich kein „liebes Mäuschen“ war. Aber nicht gesehen, nicht angenommen habe ich mich auch gefühlt! Dummerweise auch von meinen Mitschülern/Mitschülerinnen…

    Hast Du mal versucht, Deine Lieblingslehrerin über die damalige Schule wiederzufinden? Vielleicht gibt es noch ( jüngere) ehemalige Kollegen/Kolleginnen, die einen Kontakt herstellen können bzw. Dir Anhaltspunkte geben können? Denn ich finde, Dein „Danke schön“ sollte sie direkt erreichen! Vielleicht kann sie es gerade gebrauchen?!

    Liebe Grüße, Ines

    • Reply Anna 31. August 2017 at 18:21

      Liebe Ines,

      danke für deinen Kommentar. Es tut mir leid, dass du es auch so erleben musstest, umso mehr will ich mich dafür einsetzen, dass es heute anders in Schule abläuft…!
      Ich habe sie noch nicht erreicht, aber werde ich hoffentlich noch.
      Ganz herzliche Grüße
      Anna 🙂

  • Reply Anne 6. Oktober 2017 at 23:49

    Sehr spannender Brief und sehr mutig. Ich habe ähnliches mal an einen Lehrer mit der echten Post gesendet und erhielt auch ne Antwort, die sehr deutlich war, aber es war wichtig, um kein Trauma zu entwickeln. Ich kann sagen, dass ich eine sehr gute Schulzeit hatte mit wenigen Ausfällen, das war gleich in der ersten Klasse, aber dann kam eine gute Fee, die von einem grandiosen Lebenskünstler abgelöst wurde, Lichtblick waren auch immer die Religionslehrerinnen und das Beste war mein Chemie Lehrer, den ich heute noch regelmäßig zum Kaffee treffe, auch wenn er seit kurzem im verdienten Ruhestand ist. Es waren Menschen, die uns gesehen haben, die sich ehrlich für die Person interessiert haben, die darauf geachtet haben, dass wir glücklich sind, die verbindlich und verlässlich waren, die uns ein wenig als ihre Kinder mitgetragen haben. Ich habe friedensbewegte Lehrer gehabt, die uns ins Grips Theater geschleppt haben, die mit uns Friedenstauben gebastelt und in den Himmel geschickt haben und die – wie ich heute feststelle- bereits in der Grundschule feste politische Grundüberzeugungen in mich gepflanzt haben- für all das bin ich sehr dankbar und für jeden Lehrer, der sich heute in das System Schule, was anspruchsvoll und krass sein kann stellt und dafür steht : Kinder gut und ehrlich ins Leben zu begleiten und gegenüber den Eltern als Anwalt von Kinderrechten einzutreten und diese den Eltern bekannt zu machen- kein leichter Job, eher ein Dienst als Berufung und nischt für Quereinsteiger, die grad mal nichts anderes haben- das ist für die Kinder in Berlin und Brandenburg gerade eine sehr große Zumutung.

  • Reply ANTON 13. November 2017 at 17:23

    Ein mutiger Brief. Dennoch denke ich das es erst mutig wird wenn man das vermeidliche problem noch in der Schulzeit lösen könnte. Ich habe das selbe Problem, nicht die angst in die schule zu gehen, dank guter Freunde, eher die auf pädagogischer ebene inkompetenten Lehrer meiner schule. Ich geh noch zur Schule und hab bis heute mit den Kleinigkeiten kämpfen können, aber wie gesagt macht sich Trägheit und Sinnlosigkeit breit. Unverstanden, gedemütigt und freudlos fühlt sich das morgendliche aufstehen an. Meine Kreativität ist eingeschränkt und mein selbstbewusstsein, welches sonst staatlich war, ist jetzt nur noch ein kläglicher Haufen. Die Verursacher kümmert es nicht und Trotz entgegen zu bringen ist meiner Meinung nach kein guter Ansatz.
    Ich spüre in diesem System keine Veränderung! In den fünf Schulen auf denen ich war eben so wenig.
    Nun steht mein Abitur vor der Tür und Sinnlosigkeit ist mein Tagesthema ….
    Leider gab es bei mir nie einen Lehrer der etwas für einen freidenkenden hitzkopf über hatte.
    Ich wünsche deinem Projekt viel glück!

  • Reply Tanja 14. Juli 2018 at 22:07

    Danke für die offenen Worte. Ich glaube nicht mehr daran, dass Schule einmal ein besserer Ort wird! Ich habe diese Zeit im wahrsten Sinne des Wortes „überlebt“. 
    Nächsten Jahr ist wahrscheinlich ein Treffen zum 25 jährigen Abitur und ich werde wie die letzten 24 Jahre nicht hingehen. Ich weiß nicht, warum ich mich mit solchen Leuten treffen soll. Kontakt habe ich nur zu einer Freundin aus dieser Zeit.
    Ich möchte nicht verbittert klingen, aber ich möchte gerne einmal meine Erinnerungen zum Thema Schule aufschreiben.‎
    Liebe Julia, manchmal habe ich mir überlegt, Dir einen Brief zu schreiben. Aber ich denke nicht, dass Du Dich für Deinen Hass mir gegenüber irgendwann entschuldigst.
    Leider gibt es in der Schule Mobbing. Leider wissen es manche Kinder wirklich nicht besser, was sie anderen damit antun.
    Aber Du hast Dein Verhalten mir gegenüber nicht mal geändert, als Du 18 / 19 warst. Ich hatte in dieser Zeit eine Krebserkrankung und habe neben Krankenhausaufenthalten, Chemotherapie und Bestrahlung weiter die 12. Klasse des Gymnasiums besucht. Gefehlt hatte ich lediglich an den Tagen, an denen ich Chemotherapie hatte.
    Einmal sagten zwei Klassenkameradinnen in meinem Beisein folgenden Satz: „Lieber Spliss in den Haaren vom Blondieren, als solche Haare wie die da!“ Das mag dumm sein. Aber sich darüber lustig zu machen, was ich denn „Bescheuertes“ auf dem Kopf hätte (Perücke), ist nicht kindisch, sondern einfach nur ignorant! ‎
    Ich bin heute mit mir im Reinen! Ich habe mein Abitur bestanden, mit der Note „gut“. Auf ein Studium habe ich dann allerdings „verzichtet“. Ich hatte 13 Jahre Schule „überlebt“ – mehr wollte ich mir dann nicht mehr antun! ‎
    Tanja

    • Reply Anna 16. Juli 2018 at 18:35

      Liebe Tanja, es tut mir sehr leid zu hören, was du erlebt hast!! Und es ist schön zu wissen, dass du dich einfach so annimmst, wie du bist. Das ist nach diesen Erfahrungen nicht selbstverständlich. Von Herzen sende ich dir ganz liebste Grüße, schön, dass es dich gibt! Anna

  • Reply Ein Brief an meine Lehrer | beziehungsweise Schule 11. April 2019 at 8:01

    […] kann ich rückblickend einschätzen, an wem ich mich orientiert habe und wieso. Inspiriert von Anna Noß bei kinderwärts schreibe ich diese Zeilen an einige meiner ehemaligen Lehrer, um Danke zu […]

  • Leave a Reply