Lernen, Wertschätzung

Ferien, Förderung und Freiheit

17. Juli 2018

Die Ferienzeit hat begonnen. Oder steht bevor, oder ihr seid mittendrin. Die Zeugnisse liegen bereit oder wurden schon verteilt. 

Heute erlebte ich folgende Situation in einer Buchhandlung: ein Mädchen kam herein, ging zur Buchhändlerin und sagte: „Ich habe eine Eins in Deutsch!“ Die Buchhändlerin entgegnete: „Toll, herzlichen Glückwunsch.“ Nachdem sie das Beweisstück (ihr Zeugnis) vorgelegt hatte, durfte sie sich ein Buch aus einer Kiste aussuchen.  

Nach dieser  Situation fragte ich mich, warum werden nur gute Noten belohnt? Müsste nicht jemand, der eine Fünf oder eine Sechs in Deutsch hat, sich ein tolles Buch aussuchen dürfen, um auch ermutigt zu werden zu lesen, auch wenn er/sie es (noch) nicht so gut kann?

Noch grundsätzlicher gefragt: Warum gibt es überhaupt Noten? 

Während der 10 – 13 Schuljahre gibt es auch dafür keine wirklich sinnhafte Erklärung. Am Ende der Schullaufbahn sind die Noten aber die Eintrittskarte für eine solide Ausbildung oder einen Studienplatz (hahaha).  In der Schule beginnt also früh ein selektives System. Wer mehr dazu lesen möchte, schaue in mein Interview mit Herbert Renz-Polster rein

Förderung

Immer wieder fragen mich Menschen, wie man denn Kinder auf gute Weise fördern könne. Und ich muss sagen, das Wort „fördern“, ist bei mir tatsächlich sehr negativ besetzt. Es entspricht irgendwie so gar nicht meiner Auffassung von lernen. Ebenso wenig wie Noten und noch weniger die Belohnung von Noten. 

In den letzten Wochen allerdings ist mir immer wieder die Geschichte von Thomas Edison und seiner Mutter begegnet, die es vielleicht doch schafft, meine negative Sichtweise auf diesen Begriff zu revidieren.

Auch wenn ich diese Geschichte schon tausende Male gehört habe, du vielleicht auch, sie hat es wirklich in sich:

Ein Brief

Eines Tages kam Thomas Edison von der Schule nachhause und gab seiner Mutter einen Brief. Er sagte ihr: „Mein Lehrer hat mir diesen Brief gegeben und sagte mir, ich solle ihn nur meiner Mutter zu lesen geben.“

Die Mutter hatte die Augen voller Tränen, als sie dem Kind laut vorlas: „Ihr Sohn ist ein Genie. Diese Schule ist zu klein für ihn und hat keine Lehrer, die gut genug sind, ihn zu unterrichten. Bitte unterrichten Sie ihn selbst.“

Viele Jahre nach dem Tod der Mutter, Edison war inzwischen einer der größten Erfinder des Jahrhunderts, durchsuchte er eines Tages alte Familiensachen. Plötzlich stieß er in einer Schreibtischschublade auf ein zusammengefaltetes Blatt Papier. Er nahm es und öffnete es. Auf dem Blatt stand geschrieben: „Ihr Sohn ist geistig behindert. Wir wollen ihn nicht mehr in unserer Schule haben.“

Edison weinte stundenlang und dann schrieb er in sein Tagebuch: „Thomas Alva Edison war ein geistig behindertes Kind. Durch eine heldenhafte Mutter wurde er zum größten Genie des Jahrhunderts.“

(aus dem Englischen übersetzt: Bhajan Noam)

Thomas Edisons Mutter nahm ihren Sohn einfach so an, wie er war. Scheinbar ließ sie sich nicht von dieser Diagnose beirren, sondern unterrichte ihren Sohn einfach weiterhin zu Hause. Sie hat sicherlich aus der Not so gehandelt, aber sie hätte ihren Sohn auch nicht fördern und auf das Urteil der Lehrpersonen vertrauen können. Sie hat ihn aber nicht aufgegeben und ihn begleitet.

Edison wurde ein Genie und einer der größten Erfinder seiner Zeit, er meldete über 1100 Patente an.

Nein, es war nicht so, dass er hochbegabt war und die Lehrer*innen es nur nicht erkannt haben. Jedes Kind ist ein Genie, etwas ganz ganz Besonderes, kompetent, wunderbar und einzigartig. Egal welche Noten auf dem Abschlusszeugnis stehen, egal welche Diagnose Therapeuten aussprechen, egal ob sie einen Schulabschluss haben oder nicht, egal was… Und jedem (jungen) Menschen stehen sehr viele Möglichkeiten zur Verfügung. Wir begrenzen sie nur sehr stark. 

Freiheit

Manchmal hören wir mehr auf Ratschläge von kompetenten Fachpersonen, als auf unser Bauchgefühl. 

Ich möchte dich ermutigen, Diagnosen nicht als Urteil zu sehen, kleinen und großen Menschen ohne Grenzen im Kopf zu begegnen. Denn dann geschieht etwas, was sich jeder Förderkatalog nur wünschen kann. Wir gewähren ihnen eine Freiheit.

Sie erkennen sich selbst. Sie dürfen sie selbst sein und dann können sie sich dem widmen, was sie beschäftigt.

Wie kann gute Förderung und Nachhilfe aussehen?? 

Lassen wir die Kinder tun, was sie begeistert und interessiert. Sie beschäftigen sich dann nur stunden-, wochen-, monatelang mit denselben Dingen und Themen? Dann ist das so!

Edison perfektionierte die Glühbirne und machte sie einsatzfähig. Dies funktionierte nicht von heute auf morgen, er versuchte und scheiterte, versuchte und scheiterte, versuchte und scheiterte… Bis es ihm irgendwann gelang. Er selbst sagte darüber: 

„Von jeder der 200 Glühbirnen, die nicht funktionierten, habe ich etwas gelernt, das ich für den nächsten Versuch verwenden konnte.“ 

Im Scheitern kann also auch eine Chance liegen. Biografien dürfen quer verlaufen. Lassen wir doch junge Menschen Dinge ausprobieren und wenn sie merken, dass das nicht passt, gehen sie weiter, schlagen eine andere Richtung ein. Diese Zeiten sind nicht verloren, sie sind wertvoll und haben ihre Berechtigung. 

Aber man kann doch nur erfolgreich werden, wenn man ein gutes Abschlusszeugnis oder überhaupt einen Schulabschluss hat! NEIN. Vergiss auch diese Grenze in deinem Kopf.

Ich würde wohl nicht im Schein meiner Schreibtischlampe sitzen, wenn Thomas Edison nicht gescheitert wäre. Ich würde vielleicht auch nicht in diesen Computer tippen, denn Edison hatte einen riesigen Einfluss auf technischen Entwicklungen, wie die Stromerzeugung und Elektrizität. Zu seiner Zeit waren dies epochale Veränderungen. Edison war in dem, was er tat, sehr erfolgreich. 

Ich glaube, ich muss einen weiteren Blogpost verfassen, mit erfolgreichen Persönlichkeiten, die keinen Schulabschluss bzw. keine Ausbildung gemacht haben. Mir fallen nämlich grad sehr viele ein. 

Was bleibt uns also zu tun?

Ob in Schule, Kita oder zu Hause und vielleicht bald in einer Welt, in der wir unser Bildungssystem komplett umkrempeln, dürfen wir eine Umgebung gestalten, in der Kinder sich entwickeln können in ihrem Tempo, ihren Bedürfnissen entsprechend und vor allem mit viel Vertrauen. Vertraue darauf, dass die jungen Menschen, die dir anvertraut sind, alles in sich tragen, was sie brauchen.

Dieses Vertrauen ist für mich hundertprozentige „Förderung“! 


Wenn dir dieser Artikel gefällt bzw. weitergeholfen hat, würde ich mich raketenmäßig freuen, wenn du meinen Blog unterstützt. Du kannst dies über den unten stehenden Link tun. Wieviel du willst und natürlich freiwillig. Vielen Dank!!

Du kannst meine Arbeit auch unterstützen, indem du eine meiner Illustrationen erwirbst:


Mit diesem Blogpost habe ich den zweiten Platz bei dem scoyo ELTERN! Blog Award 2018  gewonnen. 🙂


You Might Also Like

2 Comments

  • Reply Freitagslieblinge am 20. Juli - x-mal anders seinx-mal anders sein 20. Juli 2018 at 19:36

    […] habe ich bei kinderwärts über Ferien&Förderung, über Erzählkunst, über Kleinigkeiten bei Tollabea und ganz viel für […]

  • Reply Frischzellenkur fürs Schulsystem? - Nachlese zum scoyo Elternbloggeraward 2018 - *Werbung* 3. Oktober 2018 at 23:14

    […] „Ferien, Freiheit und Förderung“ […]

  • Leave a Reply